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Not macht flexibel oder warum mir Corona im Freiwasser einen Rekord mit 135 m im Streckentauchen ohne Flossen ermöglichte

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SWR Landesschau Fernsehbericht

Beitrag: André Grabs

André Grabs Rekord dnf im See 2020
Sonnen- oder Regenschirm? André Grabs im See 2020 Photo: Matthias Siebert

Das Frühjahr startete klimatisch gut durch und die Seen wurden schnell wärmer, als die Maßnahmen gegen COVID 19 immer stärker ausgeweitet wurden.

Dazu zählte dann auch irgendwann im Frühsommer die Schließung aller Hallenbäder in unserer Region. So saßen wir wahrlich auf dem Trockenen und die Trainingsgruppe hier in Freiburg war etwas ratlos, zumindest was die Streckendisziplinen anbetraf. Für einige von uns war es schwierig noch am späteren Nachmittag in den See zum Tieftauchen zu fahren. Fast alle tieferen Seen hier bei Freiburg befinden sich nicht gerade um die Ecke und ich war auch nicht bereit, jedes Mal ein Stück Gletschereis zu opfern um meinen Freizeitspaß zu haben.

Da kam mir die gute alte Rekordrolle in den Sinn. Die gute alte Wäscheleinenrolle, auf welcher immer noch die 140m vom Rekord aus dem Jahr 2016 aufgewickelt waren. Erdanker von den Reben hatte ich auch noch herumliegen und so brauchte ich am Moosweiher, der direkt am Rande der Stadt liegt, nur noch einen guten Startblock.

André Grabs Vorbereitung für den Rekord dnf im See 2020
André Grabs Vorbereitung für den Rekord dnf im See 2020

Nachdem ich in Ufernähe eine gute Strecke von bis zu 100m abspannen konnte und mir ein Granitblock einen guten Startpunkt lieferte, lud ich meine Tauchfreunde zum Streckentauchtraining ein.

Somit war unser Dienstagstraining gerettet. Wir hatten nun auch ohne Schwimmbad unsere Freude und kraulten erst mal durch den See um dann anschließend gesichert an der Leine entlang zu tauchen. Egal ob mit oder ohne Flossen. Das Training konnte dann sogar auf bis zu 2 Stunden ausgeweitet werden, da es ja keine festen Beckenzeiten gab. Ab und an mal etwas Müll hochtauchen, hatte auch was.

Ich fand jedenfalls Gefallen daran, über den Wasserpflanzen und Fischen dahinzugleiten. Die Monotonie des Beckens wurde aufgebrochen und so waren selbst 75m – Tauchgänge recht kurzweilig und unterhaltsam. Ein davonhuschender Fisch, schöne Unterwasserpflanzen und eine sich stets sich abwechselnde Unterwasserlandschaft, sowas konnte ein Pool einfach nicht bieten.

André Grabs dnf im See
André Grabs Rekord dnf im See 2020 Photo: Matthias Siebert

Dafür war es mit der Sicht oder den Wassertemperaturen nicht immer einfach. Lange warten um sich auf den nächsten Tauchgang vorzubereiten war nicht angesagt um nicht zu frieren.

Aber was hat dies alles mit dem nun erbrachten NR- Rekord jetzt am 03.10. zu tun?

Nun gut, seit Thomas Plum, den ich sehr schätze, vor 2 Jahren meinen alten Rekord von 130m um einen Meter überbot, hatte ich immer gedacht: „Ach wären es doch nur deutlich mehr Meter gewesen“. So lag der neue Rekord immer noch in greifbarer Nähe. Nachdem es in Innsbruck im Februar so gut lief, wusste ich, dass ich genug Potential hatte um nochmal zu starten. Paradoxerweise fühle ich mich im Wasser über die Jahre immer vitaler, irgendwie ein Paradoxon des Freitauchens. Vielleicht ist Wasser doch ein Jungbrunnen?

Während wir also immer wieder im See an der Leine trainierten, reifte in mir der Entschluss, es doch nochmal zu probieren. Nik Linder, mit dem ich sehr viel zu tun hatte und habe, fand die Idee sehr verlockend und bot sich an, den Rekord mit zu organisieren. Ende Juli, Anfang August machten wir uns an die Terminsuche und wie es mit so sehr gefragten Experten wie Nik nun mal ist, sie sind immer auf Reisen.  Somit lag das erste Wochenende, an dem wir beide frei hatten, nach den Sommerferien nun mal am 03.10.  Aber der Oktober ist ja für seine goldige Seite bekannt und er wird uns auch diesmal nicht im Stich lassen, so unsere Überzeugung. Und als ehemaliger Dresdner, fand ich den Tag der deutschen Einheit ja auch irgendwie reizvoll.

Aber in der ersten Augustwoche ging es erst mal in die Berge nach Norditalien mit einer Yogagruppe, aber nicht ohne meine Leine. Ein Alpensee auf 1200m Höhe war mein neues Trainingsgewässer für eine Woche. Einen Freund der mit dabei war, bildete ich dort kurzerhand zum Sicherungstaucher aus, nicht ohne, dass ich ihm mehrere BO simulierte und er mich rausziehen musste. Er nannte sich von da an immer „Coach“ Mehr als 100m Strecken tauchte ich dort jedoch nicht. Aber es war ein Genuss umgeben von hohen Bergen seine Bahnen im See ziehen zu können.

Wieder zurück in Freiburg hatte ich das große Glück mit meinen Freunden Birgit Standhartinger und Fabio Tunno regelmäßig im See das Tieftauchen zu trainieren. Ich verzichtete auch hier immer mehr auf die Flossen und tauchte regelmäßig Tiefen bis -40 oder 45m CNF. So vergingen die Wochen und der Rekord rückte näher.

Im nahe gelegenen Moosweiher wuchsen in der Zwischenzeit die Wasserpflanzen bis unter die Oberfläche und an Streckentauchen in Ufernähe war nicht mehr zu denken. Also brauchte ich eine Strecke die frei von grünen Störungen war. Aber welch ein Glück, die Sandbank in der Mitte des Sees hatte genau die richtige Entfernung. Ich setzte die Anker neu und nun war alles klar für Maximaltauchgänge. Bisher hatte ich maximal 110 m getaucht.

André Grabs 2020 dnf im See
André Grabs 2020 dnf im See

Ca. 2 Wochen vor dem Rekordversuch nun der erste Maximalversuch. Birgit, Fabio oder auch Johannes nahmen sich abwechselnd immer wieder Zeit um mich dabei zu begleiten. Der erste Versuch mit 125m noch vorsichtig lief gut, es folgten dann 135 und 138m. Es schien sicher zu sein, ich fühlte mich gut.

Dann sollten noch 2 Versuche folgen.  Zu dieser Zeit war ich täglich im Wasser, da auch am Wochenende noch ein Tauchkurs komplett im See zu geben war, kam ich gar nicht mehr zur Ruhe. Selbst meine Frau sagte schon, du musst mal Pause machen. Tsss, Pause machen, jeder Tag muss nun genutzt werden, so mein Denken. Dann folgte ein Tauchgang, der sich äußerst unentspannt anfühlte, ich dachte ich hätte schon eine Hypoxie, ein Gedanke machte sich breit:  Auftauchen, abbrechen, ich kann nicht mehr… So kam ich hoch bei 120m, alles Ok , warum nur bin ich aufgetaucht. Zweiter Versuch nach 15 Minuten 125m, so hatte ich wenigstens das Gefühl trainiert zu haben.

Nach weiteren 2 Tagen (wieder ohne Pause) ein letzter finaler Versuch.  Ich musste liefern, sollte ich das Vertrauen in mich nicht verlieren. Die Anspannung war groß, zu sehr die Angst, wieder zu versagen. Das Herz pochte so stark, dass es Ringe in den See hinausschickte. Abbruch bei 130m, Hypoxie? Der Kopf wollte nicht mehr, Johannes versicherte mir, alles OK, blaue Lippen sonst nichts.

Nun lagen die Nerven blank, noch eine knappe Woche bis zum Finale. Die Wettervorhersage machte mich zusätzlich nervös, da die Prognosen schwankten zwischen Sonne 22 Grad und viel Regen mit 10 Grad. Nun nahm ich den Rat an und machte mal Pause. 3 Tage kein Wasser, keine große Anstrengung. Eine echte Prüfung, aber ich erholte mich.

Einzig die Nächte wurden nun gestört von Albträumen, es drängten sich Bilder auf: Ich auf dem Startblock, die Erwartungen von Sponsoren, Veranstalter, Freunden, Fernsehen, alle warteten darauf, dass man abtaucht und liefert. Hinzu kamen Bilder von Regenschauern, Kälte und Windböen. Dann schreckt man mit schwitzender Stirn auf und sagt sich, du kannst das, du bist erfahren und hast deine Regungen unter Kontrolle. Mit Atmung lässt sich alles regeln.  Hatte ich mir zumindest oft eingebildet.

Fabio bot sich an mich noch einmal zu sichern. Es war ein Montag, strahlender Sonnenschein, dass Wasser nur noch 17 Grad. Er spannte die Leine und ich konnte entspannen. Mit OT, Generalprobe, abtauchen, entspannt bleiben, lächeln, nicht beirren lassen.

Ich tauchte diesmal locker über das Ende der weißen Leine bei 136m, aufgetaucht bei 138 ohne große Erschöpfung und völlig klar. Jubel hallte über den See, der“ Rekord“ war vorerst geschafft. Die wenigen Tage bis zum Rekord, ein stetes Gefühlsbad zwischen Versagensangst und Optimismus.Die Wettervorhersage ließ nichts Gutes mehr erwarten.

Monika Hopf sprang glücklicherweise kurzfristig ein, weil eine Woche vor Start ein Judge aus gesundheitlichen Gründen absagen musste. Es blieb also spannend.

Der Morgen war nun endlich da, eine Banane zum Frühstück, das Auto war gepackt und wie in meinen schönsten Albträumen regnete es bei frischen 10 Grad. Am See mussten erst mal die Leine vermessen, der Pavillon aufgebaut und ein paar Fragen dem Fernsehteam beantwortet werden. Ich konnte nun dank des Filmteams mit meinem Auto aufs Gelände fahren, nicht weit vom Ufer entfernt und war sehr glücklich mich nicht draußen vorbereiten zu müssen. Ich setzte mich ins Auto packte mich gut ein und schottete mich so gut es ging ab. Alles andere war besprochen und ich wusste, ich konnte mich auf meine Freunde verlassen.

Eine kleine FRC- Tabelle, ein paar Dehnübungen etwas Pranayama, die Zutaten für einen guten Tauchgang. Nur 5 Minuten vor OT verließ ich meinen Unterstand und setzte mich ans Ufer. Ich war selber erstaunt, wie ruhig ich war, nur noch eine unterschwellige Nervosität war zu spüren. Schwimmbrille an, Halsbleis umhängen und hoffen, dass die Kälte nicht zu sehr zuschlägt. Die Kameraleute, die Sicherungstaucher, die Zuschauer, alles ruhig, nur die Regentropfen auf dem Wasser wollten die Angespanntheit durchbrechen.

2,5 min bis OT, Gang zum Startblock, Blick auf die Hochhäuser gegenüber in denen ich selber 4 Jahre gelebt hatte, versuchte kurz daran zu denken, wie oft ich früher hier schwimmen war. Jetzt auf die Atmung konzentrieren, in 5 Minuten ist alles vorbei.

OT und los. Mein innerer Rhythmus begleitet mich und gibt mir halt, ab den 60 m beginnen leichte Kontraktionen, steigern sich aber nur langsam. Bei 100m weiß ich, es wird gut. Schneller als gedacht kommen die 132m, nun will ich‘s beenden, noch ein Armzug, gleiten und hoch…

Geschafft! André Grabs 135m dnf im See
Geschafft! André Grabs dnf Rekord im See 2020 Photo: Matthias Siebert

Die Schwimmnudeln platziert Fabio wieder perfekt, die Ansage von Johannes vernehme ich klar und deutlich, die Zuschauer jubeln schon und ich weiß ich bin absolut klar, keine Anzeichen von Hypoxie, selbst die Beine sind nicht schwer. Das war eine gute Landung mit Reserve im Tank. Ich bin überglücklich, der Druck fällt ab, ein Rülpser bricht sich wie immer Bahn und ich werde nicht disqualifiziert, da es Gott sei Dank keinen Knigge gibt für Freitaucher.  (Nik merkt später an, dass ich ja noch mehr könne, wenn ich die Luft nicht in den Magen packen würde.) Prost und Weiße Karte, ab jetzt gilt es nur noch Glückwünsche entgegennehmen, feiern und sich in tiefer Dankbarkeit vor allen Helfern und Unterstützern zu verneigen. Solch ein Rekord macht man nicht allein!! Ohne die vielen Trainingszeiten mit seinen Freunden, ohne die gesicherten Max – Tauchgänge, ohne Nik Linder der im Hintergrund die Fäden gezogen hat und ohne meine liebe Frau Karin, wäre das alles nicht machbar.

Rekord-Team dnf im See 2020
Rekord-Team dnf im See 2020

Egal ob es nun ein NR- Rekord nach Aida ist oder ein Weltrekord nach dem Rekordinstitut RHR ist, es war eine unvergessliche Zeit! Vielen Dank auch an die Sponsoren Davosa-Uhren und Keidel-Mineralbad.